Der Fahle Reiter
Der Fahle Reiter ist die einzige Ikone, der ein eindeutiger menschlicher Name zugeordnet werden kann. Jonathan McKinley studierte bis zu Beginn des ersten Weltkrieges Medizin und Chemie an der Universität von Edinburgh. Als Sohn aus wohlhabendem Hause wurde sein weltmännisches Auftreten nur von einer Arroganz und einem Narzissmus übertroffen, der selbst für enge Freunde zunehmend beängstigende Züge annahm. Zielstrebig, ehrgeizig, kompromisslos, intellektuell, unermüdlich – McKinley geriet während seines Werdegangs zur perfekten Blaupause des modernen Kapitalismus, wie er auch heute noch versucht das menschliche Individuum zu formen. Nach Ausbruch des ersten Weltkrieges ging er zur Royal Army und stieg in der Hierarchie rund um die Erforschung neuer Kriegsmittel überdurchschnittlich schnell in den Rängen auf. Hier verliert sich dann seine Spur, und man vermutet, dass er schnell in die geheimen Forschungsabteilungen der Britischen Armee wechselte, um an einer neuen Klasse von chemischen Kampfstoffen zu forschen, die damals eine vielversprechende neue Waffenoption darstellten. Hierbei war McKinley bereit, immer größere Opfer für Forschungsergebnisse zu bringen, seien es moralische oder kapazitive. Auch markierte das den Beginn der zunehmenden Wesensveränderung des Jonathan McKinley. Sein Narzissmus brach sich Bahn, gepaart mit einer manisch-morbiden Ader, was zwar stets neue und noch tödlichere Ergebnisse lieferte, aber zu welchem Preis? Ehemalige Kollegen sprechen von einer letztendlich totalen Entfremdung und Isolierung von ihrem ehemaligen Forschungspartner und einige vermuten sogar, dass McKinley Opfer seiner eigenen Schöpfungen wurde.
Internationale Experten sind sich jedoch sicher, dass McKinley noch lebt. Seine Experimente bescheren ihm ein unnatürlich langes Leben, auch wenn es gerade das ist, was er verachtet. Des Tages paktiert er in den Hinterzimmern dieser Welt mit Despoten und Tyrannen, exportiert seine todbringenden Erfindungen in die Kriegsgebiete dieser Welt und flüstert Meinungsmachern und leichtgläubigen Medien ein, dass Impfungen gegen Krankheiten, die schon als ausgerottet galten oder aus seinen eigenen Laboren stammen, nicht nötig oder sogar gefährlich seien. Auf der einen Seite inszeniert er sich als pharmazeutischer Heilsbringer, auf der anderen Seite schafft er die Grundlage für sein medizinisches Geschäftsmodell, die Seuche, selbst. Das brachte ihm nach und nach seinen Spitznamen „Der Fahle Reiter“ ein, den vierten Bringer der Apokalypse. Doch des Nachts, wenn sich McKinley in seine Labore zurückzieht, geschieht noch etwas anderes mit ihm. Sein Körper verzerrt sich, seine Gelenke springen über und die Haut spannt sich, bis sein Gesicht nur noch das menschliche Zerrbild des Verfalls ist. Lidlose Augen, ein lippenloser Mund und zwei klaffende Löcher an der Stelle, wo eigentlich die Nase sein sollte starren in die von Bunsenbrennern erleuchtete Dunkelheit, während geschickte Hände seltsame Substanzen aus einer Zentrifuge klauben…